PROZESS IN BERLIN – Wie das Kokain per Lieferservice frei Haus kam

Im Berliner Landgericht hat der Prozess gegen elf Männer begonnen. Sie sollen einen schwunghaften Drogenhandel betrieben haben.

Es ist etwas eng geworden im größten Verhandlungssaal des Berliner Landgerichts Moabit. Elf Angeklagte, ein Dutzend Verteidiger, Dolmetscher und ein größeres Aufgebot an Sicherheitskräften der Justiz mussten erst einmal untergebracht werden, bevor am Donnerstag der Prozess um einen schwunghaften Drogenhandel in der Hauptstadt beginnen konnte.

Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten, von denen sechs seit Monaten in Untersuchungshaft sitzen, banden- und gewerbsmäßigen Handel mit Kokain in knapp 180 Fällen vor.

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft sollen die Angeklagten, vier Männer aus dem Kosovo, sechs Deutsche türkischer Herkunft und ein Bulgare, eine gut funktionierende Organisation aufgebaut und unterhalten haben. Auch eine Frau soll an den Taten beteiligt gewesen sein. Arbeitsteilig wurde Kokain beschafft, verarbeitet und auf Bestellung an die Abnehmer geliefert.

Dazu bediente man sich eines so genannten Konsumententelefons, über das die Kunden ihre Ware bequem bestellen konnten. Alle Wünsche über Ort und Zeit der Übergabe wurden anstandslos erfüllt, ein eigens eingerichteter Lieferservice sorgte, so die Anklage, für prompte Bedienung durch Kuriere, die im gesamten Stadtgebiet aktiv waren. Etwa 150 zufriedene Stammkunden der umtriebigen Organisation haben Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelt.

Leicht haben die Angeklagten den Ermittlern des Landeskriminalamtes (LKA) ihre Arbeit nicht gemacht. So etwas wie eine Zentrale, in der alle Drähte zusammenliefen, gab es nicht. Die Kokainvorräte wurden an mehreren, über die ganze Stadt verteilten Orten gelagert. Dort erfolgte auch die Verarbeitung der Ware. Das heißt, der reine Stoff wurde – wie in der Branche üblich – mit Zusatzsubstanzen versehen („gestreckt“) und in handelsüblichen Kleinportionen verpackt.

50 Euro kostete üblicherweise eine solche Portion aus einem Gemisch mit einem reinen Kokainanteil von 0,5 Gramm. Die Kunden orderten in der Regel – je nach Bedarf und finanziellen Möglichkeiten – zwischen eine oder mehrere Portionen, in Einzelfällen auch schon mal bis zu zwei Dutzend, heißt es in der Anklage.

ANGEKLAGTE SCHWEIGEN BISLANG

Eine strikte Aufgabenteilung soll es ebenfalls nicht gegeben haben. Jeder der elf Angeklagten soll im Grunde alles gemacht haben, von der Beschaffung des Kokains über Lagerung und Verarbeitung bis zur Lieferung an die Kunden. Die Ermittler sind allerdings überzeugt, dass zwei 39 und 32 Jahre alte Männer aus dem Kosovo die Hauptakteure in dem schwunghaften Handel waren. Ihnen werden allein 126 der insgesamt 179 angeklagten Einzeltaten vorgeworfen

Alle Taten, die die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift aufgelistet hat, sollen zwischen Mitte März und Ende Juli 2012 begangen worden sein, ob und in welchem Umfang die Angeklagten vorher schon aktiv waren, blieb bislang unklar. Vieles andere ist ebenfalls noch offen. Bislang haben die Angeklagten geschwiegen, nur einer von ihnen soll während der Ermittlungen die zeitweilige Aufbewahrung von Kokain gestanden haben. Noch unklar ist auch die für die Ermittler wohl wichtigste Frage, woher die mutmaßlichen Dealer das Kokain bezogen. Ob der weitere Prozess darüber Aufklärung bringen wird, ist ungewiss, allzu viel Aussagebereitschaft kann gefährlich sein im Drogengeschäft.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft stützt sich wesentlich auf die Auswertung der Handys, die sichergestellt wurden, nachdem Fahnder die Gruppe Ende Juli 2012 nach längeren Ermittlungen dingfest machen konnten. Über die Handys liefen die Bestellungen, dadurch konnten die Ermittler feststellen, wer wann welchen Auftrag entgegengenommen, weitergegeben oder ausgeführt hat. Auch auf die Spur der Abnehmer gelangen die Beamten auf diese Weise.

HANDEL IM VERBORGENEN

Knapp 2500 Verfahren wegen Drogenhandels haben die Behörden in Berlin im vergangenen Jahr eingeleitet. Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik sagen jedoch wenig über den tatsächlichen Umfang des Kokainhandels in Berlin aus. LKA-Ermittler und Zollfahnder gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Denn der Handel mit dem weißen Pulver blüht weitgehend im Verborgenen. Kokain gilt nach wie vor als Partydroge der Schönen und Reichen. „Die Kokainkonsumenten treiben sich nicht an U-Bahnhöfen oder in Parks herum“, sagt ein Zollfahnder. Die Dealerbanden tragen den Wünschen ihrer gehobenen Kundschaft in jeder Hinsicht Rechnung. So flog Ende 2009 in Charlottenburg eine Bande von libanesischen Kokainhändlern auf, die für ihre zahlungskräftige Kundschaft einen bequemen Bestell- und Lieferservice organisiert hatte.

„Die Lieferung erfolgt in der Regel frei Haus, konsumiert wird ebenfalls im privaten Umfeld, häufig auf Partys. In diese abgeschottete Szene einzudringen, ist ausgesprochen schwer“, beschreibt ein Ermittler die Probleme bei der Bekämpfung gerade des Kokainhandels. Weitere Umschlagplätze sind diverse Bars und Restaurants in der Stadt, allesamt Lokale der gehobenen Kategorie.

Den Kokainhandel in Berlin beherrschen wie auch die anderen lukrativen Bereiche der organisierten Kriminalität etliche nahöstliche Großfamilien sowie Mafiagruppen aus Ost- und Südeuropa. Auch Rockerbanden wie Hells Angels und Bandidos sollen nach Erkenntnissen der Behörden mitmischen. Die zumeist aus Süd- und Mittelamerika stammende Ware kommt auf dem See- oder Luftweg ins Land. Für den Transport auf dem Luftweg heuern die Dealer Kuriere an, die das Rauschgift gegen Honorar von einigen Tausend Euro schmuggeln.

Der Transport auf dem Seeweg erfolgt zumeist in Containern, deren Zielorte Überseehäfen wie Hamburg, Bremen oder Antwerpen sind. Von dort geht es dann auf dem Landweg weiter. Besonders beliebt ist seit einiger Zeit allerdings auch der Transport mittels gecharterter Hochseeyachten. Den wohl spektakulärsten Fall in der Region Berlin gab es vor zwei Jahren. Da flog eine sechsköpfige Bande – allesamt Brandenburger – auf, die das Kokain mit einer Segelyacht nach Deutschland brachten. Bei der Durchsuchung des Schiffes im niedersächsischen Cuxhaven wurden 17 Kilogramm Kokain sichergestellt, bestimmt für die Schickeria-Szene in der Hauptstadt.

 

Quelle: mobil.morgenpost.de/berlin/article113288013/Wie-das-Kokain-per-Lieferservice-frei-Haus-kam.html